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Die irre Heldentour des Billy Lynn - Ben Fountain

Original: Billy Lynn´s Long Halftime Walk, 2012
[Roman]




Die Soldaten von Team Bravo sind die Helden des Irakkriegs geworden. Sie wurden vom zufällig anwesenden TV-Senders Fox, während der Abwehr eines Überraschungsangriffs einer feindlichen Eliteeinheit gefilmt. Superhero der ganzen Aktion ist der 19 jährige Billy, den der Film knapp 4 Minuten lang zeigt, wie er mit einer Hand seinen verletzten Kameraden verarztet und mit der anderen schießt und gekonnt seine Waffe nachlädt. Bei Fragen beteuert Billy, dass er nur getan hat, was er in seiner militärischen Ausbildung gelernt hat. Also kein Meisterstück, sondern eine normale militärische Handlung. Statt nun alles in Ruhe und mit professioneller psychologischer Hilfe zu verarbeiten, wird das Team Bravo auf eine zweiwöchige Siegestour in die USA geschickt. Eine Tour zum Ruhm der USA, zur Rechtfertigung des Kriegseinsatzes im Irak und zu Buschs Machterhalt. Höhepunkt der Road-Show ist der Besuch des Footballspiels der Dallas Cowboys am Thanksgiving Day am Ende der Heldentour, von dem das Buch erzählt. Danach müssen die Soldaten in den Irak zurück.

In der Kritik wurde das Buch oftmals als großartige Satire auf Buschs Amerika gelobt, aber ich kann keine satirischen Elemente sehen. 


Natürlich verdichtet der Roman die Ereignisse auf einen Tag. Man merkt schnell, wie die Soldaten für Buschs Publicityzwecke missbraucht und von der riesigen Propagandamaschine verheizt werden, aber so etwas machen Politiker. Das Team Bravo soll für alle „Söhne“ Amerikas stehen, die den Terror im eigenen Land der Terroristen bekämpfen sollen, damit der Krieg nicht in ihr Heimatland hineingetragen werden kann und die Amerikaner weiter ruhig schlafen können. Dementsprechend oft hören die Soldaten auch nationale Dankesbekundungen wie „Freiheit, Mut, Opfer, Stolz, Helden“, was auch optisch im Buch gut dargestellt wird. Auffallend oft sind die Dankbaren, die Reichen und Mächtigen. Und Politiker, die für Amerikas Sicherheit das Leben der jungen Männer opfern wollen und um selbst an der Regierung und Macht zu bleiben.

Billy dagegen ist in den Krieg in einem fremden Land geworfen worden und weiß nicht, wie er den Tod des Kameraden und Freundes, den plötzlichen tödlichen Angriff und die todbringende Gegenwehr verkraften soll. Alles ging so schnell und Billy hat einfach Angst zu sterben, aber auch anderen Menschen den Tod zu bringen. Es geht um Glück und die Hoffnung, dass der Tod vielleicht doch noch abwendbar sein könnte. Zur Not mit etwas Magie und so hat Billy Rituale entwickelt, die ihn vorm Sterben schützen sollen.

Anfangs bejubeln die Amerikaner die Soldaten mit kindlicher Begeisterung, die aber genauso schnell wieder verschwindet, wenn Schwierigkeiten auftauchen oder die Cowboys nach einem langen Tag in der Kälte des Stadiums dann doch noch verlieren. Man liebt den Held und nicht den Menschen wie auch Billys kurze Beziehung zu einer jungen Chearleader zeigt. Hollywood soll einen Film über den heldenhaften Einsatz von Team Bravo drehen, der die Soldaten und Produzenten reich machen soll. Allerdings soll nichts so bleiben wie es wirklich war, sondern medienwirksam umgeschrieben werden. Für mich war es schwer mitzuerleben wie die Soldaten immer tiefer in den Sog aus Geschäfte- und Meinungsmache gezogen werden. Meine Lieblingsfigur ist dann auch der 24 jährige coole Sergeant Dime, der die Übersicht behält, den Irrsinn der Heldentour durchschaut und sich und seine Leute nicht abziehen lässt.

Das Buch erzählt die gesamte amerikanische Tragödie des Irakkrieges in diesem einen Tag und am Ende sind die Soldaten nur noch geschlagene Helden, die sich ihre Rückkehr in den Irak fast schon wünschen:
„Bevor die uns umbringen (...) Bring uns irgendwohin, wo´s sicher ist. Bring uns zurück in den Krieg.“
Und das ist vielleicht das Einzig Satirische.

Ben Fountain schreibt in einer sehr klaren deutlichen Sprache, gekonnt übersetzt von Pieke Biermann, die sowohl die Besonderheiten der Soldaten- und Footballsprache als auch Billys Seelenzustand sehr gut verdeutlicht.

Die irre Heldentour des Billy Lynn soll von Ang Lee mit Joe Alwyn, Kristen Steward und Vin Diesel 2016 verfilmt werden. In die Kinos kommt er weltweit ungefähr Anfang November 2017, zeitnah am US Veteranes Day und dann würde Team Bravo doch noch seinen Film bekommen. Weitere Infos zum Film findet ihr hier

Ben Fountain erhielt für Die irre Heldentour des Billy Lynn den National Book Critics Circle Award. 2015 wurde dieser Roman von der BBC-Auswahl der besten 20 Romane von 2000 bis 2014 zu einem der bislang bedeutendsten Werke dieses Jahrhunderts gewählt.

Diese Auszeichnungen sind meiner Meinung nach auch berechtigt, da das Buch sehr vielschichtig und tiefgründig ist. Für mich war es schwierig, dem Roman in einer kurzen Rezension gerecht zu werden.



Dtv premium, 2013; aus dem Amerikanischen von Pieke Biermann
399 Seiten, 17,40 Euro


Für das Rezensionsexemplar danken wir:

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